
Es besteht kein Zweifel: Marshall McLuhans These, dass die eigentliche Wirkung medialer Revolutionen in ihren gesellschaftlichen Folgen besteht, erfährt im Zeitalter der KI und insbesondere seit der Massenzugänglichkeit von generativer KI eine beeindruckende Bestätigung. Der Algorithmus ist das prägende Medium unserer Zeit und beeinflusst unsere soziale, politische und ökonomische Wirklichkeit so wie die anderen dominanten Massenmedien zuvor. Allerdings geht dabei die Wirkung über die Aufbereitung, Selektion und Bereitstellung von Information deutlich hinaus.
Durch den Einsatz generativer KI hat der Anteil künstlicher Kommunikation mit Bots, Avataren und virtuellen Agenten erheblich zugenommen. Heute verursachen nicht Menschen den größten Teil des globalen Internet-Traffics, sondern Maschinen und skopische Medien, die räumlich entfernte und zuvor unsichtbare Ereignisse in den Wahrnehmungshorizont rücken. Bot-Traffic Studien wie von „Imperva“ und „Statista“ dokumentieren den Zuwachs und zeigen, dass der Bot-Anteil heute weltweit bei 51 Prozent (in Deutschland bei 68 Prozent) liegt.
Wenn KI zum eigendynamischen Kommunikationsakteur mit zunehmend dominanter Stellung wird, stellt sich auch die Frage nach den Auswirkungen auf die Öffentlichkeit und auf jene, die sich in ihr bewegen, Unternehmen inklusive. Erste Daten einer Studie der deutschen Landesmedienanstalten zur Meinungsvielfalt in den Suchergebnissen KI-gestützter Suchfunktionen liegen bereits vor und dokumentieren „Traffic-Verluste für Inhalteanbieter zwischen 18 Prozent und bis über 50 Prozent“. US-Journalist Kyle Chayka warnt in seinem gerade erschienenen Buch „Filterworld“ vor einer „Kulturverflachung durch Algorithmen“.
Offensichtlich wird sich auch das Kommunikationsmanagement mit den Chancen und Risiken von KI auseinandersetzen müssen. Ging es hier bisher um die Wirkmächtigkeit einzelner KI-Tools und um Ansätze für die Kooperation zwischen dem Menschen und der Maschine, wird jetzt die Frage nach KI als genuinem Akteur in der Kommunikation gestellt. Dabei halten sich aktuelle Diskussionsbeiträge etwa aus den Reihen der renommierten Arthur Page Society gar nicht erst mit der Idee von KI als Zielgruppe auf, sondern erklären sie kurzerhand zum „Stakeholder, den es zu verstehen und zu beeinflussen gilt“.
Damit wird KI zur Anspruchsgruppe mit Bedürfnissen genau wie Kunden, Lieferanten und weitere gesellschaftliche Interessengruppen. Nota bene: In Freemans klassischem Stakeholder-Modell sind Medien keine Stakeholder, sondern Stakekeeper – unabhängige Beobachter, die Unternehmen kritisch begleiten. Es überrascht nicht, dass mit der Idee von der KI als Stakeholder auch eine neue Aufgabenstellung in den Raum gestellt wird. „Generative AI Optimization“ (GAIO) soll sicherstellen, dass Unternehmen auch in einer von KI-Akteuren geprägten Öffentlichkeit angemessen wahrgenommen werden. Im Grunde werden hier Anforderungen der „Search Engine Optimization“ (SEO) ins KI-Zeitalter übertragen.
Wenn dabei aber – um es mit McLuhan zu formulieren – die These vertreten wird The medium is the stakeholder, schütten wir das Kind mit dem Bade aus. Stakeholder-Beziehungen basieren auf genuinen menschlichen Interessen und Beziehungskapital wird zwischen Menschen aufgebaut und verloren. Technische Plattformen und Kanäle können dabei Tools sein, aber nie Akteure. KI mag Assistant, Agent oder Technical Orchestrator in der Kommunikation sein oder werden, aber niemals Stakeholder.
