Kommunikation in pandemischen Zeiten – vom Umgang mit einem diffizilen Wirkstoff

Es besteht kein Zweifel: COVID-19 stellt uns nicht nur vor eine fundamentale medizinische Herausforderung. Das Virus konfrontiert uns auch mit einem „gigantischen Zivilisationstest“, wie der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen treffend konstatiert hat. Vom Versuch, diesen Test – zwischen Ängsten und Hoffnungen, zwischen Vertrauen und Kontrolle, zwischen Wissenschaft und Alltag – zu bestehen, ist unser Leben seit Wochen bestimmt. Mehr noch, unter dem Eindruck dieser neuen Herausforderung, die das Leben der Nachkriegsgeneration auf der ganzen Welt in eine Zeit davor und danach teilt, wird Bewährtes einem Stresstest unterzogen, bisher Undenkbares verordnet und völlig Neues ausprobiert – auch im Kommunikationsmanagement.

Den Kommunikationsexperten wundert nicht, dass schon sehr früh in der Debatte um geeignete Vorgehensweisen in Öffentlichkeit und Unternehmen die Frage der geeigneten Vermittlung erforderlicher Vorgehensweisen – mit teilweise drastischen Eingriffen in individuelle Freiheit, aber auch hohen Anforderungen an Solidarität und Flexibilität – gestellt wurde. Als der Deutsche Ethikrat Ende März seine Ad-hoc-Empfehlungen zur Bewältigung der Krise veröffentlichte, gehörte die Forderung nach einer „fundierten Informationsstrategie mit transparenter und regelmäßiger Kommunikation“ ganz selbstverständlich dazu. Der Soziologe Rudolf Stichweh rückt diesen Erfolgsfaktor in den gesellschaftlichen Zusammenhang, wenn er davon spricht, dass die Massenmedien in Zeiten der Corona-Krise (warum eigentlich nicht schon zuvor?) zum „systemrelevanten Funktionssystem“ werden. In einer Pandemie wird Deutungshoheit im wahrsten Sinne des Wortes überlebenswichtig – oder wie Mona Jaeger treffend in der FAZ geschrieben hat: „In der Corona-Krise bedeutet Sprachgewinn zugleich auch Machtgewinn“.

In der Unternehmenskommunikation spiegelt sich diese akute Bedeutungszunahme der Vermittlungsfrage aktuell flächendeckend in der engen Einbindung der Fachfunktion in Krisenstäbe und oftmals in einer Priorisierung im Vergleich zu anderen unternehmerischen Teilfunktionen. All dies verlangt den Kommunikationsabteilungen in einer Zeit struktureller Beschränkungen und einer sich zuspitzenden wirtschaftlichen Krisenlage viel ab, schafft aber auch Gestaltungsspielraum und Chancen. Prinzipiell sollte das Kommunikationsmanagement auf die besondere Lage gut vorbereitet sein, denn die Epidemiologie folgt Prinzipien, die uns vertraut sind: Denken in Szenarien, Antizipation des Wahrscheinlichen, Beratung auf der Grundlage von (durchaus interpretierbaren) Daten und mit Blick auf die Eigenheiten menschlicher Bedürfnisse und Befindlichkeiten. In Kombination mit dem nun noch selbstverständlicheren Einsatz digitaler Plattformen und Kanäle in der internen wie externen Kommunikation ergeben sich hier viele Chancen auf Gestaltung und Bewährung.

Die Bedeutung der Kommunikation in pandemischen Zeiten hat aber eine Schattenseite. Weil die Wirkmächtigkeit so groß und der Aufwand für das Einbringen der eigenen Position so gering ist, steigen die Anforderungen an Wortwahl und Redlichkeit des eigenen Vorgehens dramatisch an. Corona hat nicht nur eíne eigene Sprache hervorgebracht, mit noch vergleichsweise harmlosen Spitzen wie Covidiot oder Coronaspeck (vgl. „Economist Guide to covid-19 slang“), sondern – wie die WHO bereits warnt – gleich eine ganze Infodemie an irreführenden Formulierungen, Falschmeldungen und Verschwörungstheorien. Mit aufrichtigem Bedauern konnte man zudem in der ersten Phase der Krisenbewältigung beobachten, wie die Virologen sich selbst – offensichtlich überwältigt vom sprunghaft gestiegenen medialen Interesse an ihrer Disziplin und Person – in Sphären maximaler Fallhöhe kommuniziert haben. Die Klage des Berliner Virologen Christian Drosten, der sich plötzlich auf T-Shirts abgebildet fand, ist hier nur ein Beispiel.

Kommunikation ist in Zeiten großer Unsicherheit und maximaler Risiken ein sehr effizienter, aber auch oftmals diffiziler Wirkstoff. Es kommt nicht nur auf die Dosis an (nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel), sondern auch auf die Reinheit der Substanz und ihre Nebenwirkungen. Peter Sloterdijk hat einmal den Journalisten wie den PR-Leuten und Werbern ins Stammbuch geschrieben: „Wer Massenkommunikation betreibt, nimmt an einem System teil, das wesentlich Panikmache zum Ziel hat, denn nur die die Panik führt ins begehrende Innere anderer Subjekte hinein“. Wenn er dann Negativ-Panik (Angst) von Positiv-Panik (Begehren) unterscheidet, inspiriert er auch für den Impuls, den die Kommunikation in Corona-Zeiten setzen muss. Für Solidarität und Vertrauen und nicht gegen Freiheit und Eigenverantwortung.

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