Kommunikative Selbstvergewisserung – Unternehmen zwischen Purpose und Pose

Im Jahr 1970 diktierte der spätere Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman dem Magazin der New York Times seine Sicht auf die gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens in die Feder: „Die soziale Verantwortung der Wirtschaft ist es, ihre Profite zu vergrößern“. Er vermittelte damit ein Verständnis von Unternehmertum, wie es Adam Smith schon im 18. Jahrhundert in die Metapher der Unsichtbaren Hand gekleidet hatte: Ohne direkt nach der Optimierung des Gemeinwohl zu streben, sorge der eigennützlich agierende Marktteilnehmer –  von unsichtbarer Hand geleitet – für eine optimale Verteilung knapper Güter. Knapp ein halbes Jahrhundert nach Friedmans plakativer Aussage haben sich die gesellschaftlichen Erwartungen an Unternehmen dramatisch verändert, somit auch ihr Selbstverständnis und das ihrer Führungskräfte.

Larry Fink, der als CEO der Fondsgesellschaft Blackrock mehr als 6 Billionen US-Dollar Vermögen verwaltet, schrieb in seiner diesjährigen Botschaft an die Unternehmen, in denen sein Haus investiert ist, dass „Purpose und Profit unauflöslich mit einander verbunden sind“. Und das nicht der Unternehmensgewinn selbst, sondern der Purpose – also Zweck oder höhere Sinne eines Unternehmens – „die motivierende Kraft für das Streben nach Profit“ sein müsse. Damit entstehen natürlich auch Anforderungen an das Kommunikationsmanagement. So hat das PR-Beratungsunternehmen Reputation Institute die Definition eines glaubhaften Purpose´ auf Position 1 der kommunikativen Hausaufgabenliste führender Unternehmen in 2019 gesetzt.

Ganz neu ist die Suche nach dem sozialen Leistungsbeitrag der Wirtschaft allerdings nicht und schon gar nicht haben wir diese Ausrichtung am gesellschaftlichen Bedarf allein dem Silicon Valley zu verdanken, wie gelegentlich der Eindruck entsteht. Schon seit dem 19. Jahrhundert haben Unternehmerpersönlichkeiten wie Carl Duisberg, Werner von Siemens und Robert Bosch nicht nur die Arbeits- und Lebensbedingungen ihrer Mitarbeiter zu verbessern versucht, sondern den sozialen Fortschritt insgesamt als Zielstellung im Auge gehabt. Wenn dabei in Sprache und Anspruch noch etwas bescheidener agiert wurde als heute, dann vor allem weil transzendente Orientierung inklusive Klärung der Sinnfrage des menschlichen Lebens noch der Religion vorbehalten war.

Es ist kein Widerspruch, wenn die Kirchen in Deutschland aktuell prognostizieren, bis 2060 die Hälfte ihrer Mitglieder zu verlieren und zugleich vor allem junge Menschen in den hoch entwickelten Industriegesellschaften von ihrem Arbeitgeber erwarten, dass er sie zum Teil eines Projekts zur Lösung relevanter Fragen menschlicher Existenz macht. Sinn ist für sie zur knappen Ressource in materiell oftmals gut gesicherten Lebenssituationen geworden. In einer säkularisierten Welt und nach zwei Weltkriegen, die angesichts von Millionen Toten auch jegliche zivilreligiöser Denkgebäude ins Wanken gebracht haben, mangelt es der Welt an Zukunft, die sich begehrlich und erstrebenswert von Gegenwart und Vergangenheit abgrenzen ließe. Die Digitalisierung verschärft diesen Eindruck zusätzlich durch die Beendigung der Vergänglichkeit von Information. Es entsteht der Eindruck, dass immer weniger wirklich Neues entsteht und die Geschichte auf der Stelle tritt.

Manche Beobachter halten es für vermessen bis kontraproduktiv, dass Unternehmen in diese Lücke menschlicher Orientierungssuche stoßen. Der Bielefelder Soziologe Stefan Kühl betonte in einem Gastbeitrag für die FAZ, wer als Unternehmen seine Mitarbeiter durch den Hinweis auf „Arbeiten für ein höheres Ziel“ motivieren wolle, der müsse wissen, eine „Firma ist kein Karnevalsverein“. Natürlich kann man mit Verweisen auf den Sinn der Arbeit dauerhaft Defizite etwa bei Bezahlung oder Arbeitszeiten ausgleichen – wenngleich die Arbeitsbedingungen in manchem hoffnungsvollen Start-ups eine andere Sprache sprechen. Allerdings wird hier der Eindruck erweckt, dass Purpose nur ein Mittel zum Zweck (der Optimierung des Einsatzes der Ressource Mensch) sei. Tatsächlich entspringt der Wunsch nach einem klaren Verständnis dessen, wofür der eigene Arbeitgeber steht und wofür er seine Ressourcen gezielt einsetzt, dem Wunsch des Menschen nach Selbstvergewisserung in einer zunehmend komplexen Welt.

Und weil das so ist, können Arbeitnehmer auch sehr gut unterscheiden zwischen karnevalistischer Pose und ernstgemeintem Purpose – zumal wenn im Unternehmen hierzu ein offener Dialog stattfindet. Wer hier nur Lippenbekenntnisse produziert oder es bei gestischem Zauber belässt, dem sei Ödon von Horvath in Erinnerung gerufen, der die Divergenz zwischen Schein und Sein millimetergenau vermessen hat: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, ich komme nur so selten dazu“.

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